Gegen die Schwerkraft

von Wolfgang Behrens

2. Mai 2013. "Die Welt ist so und du musst dich in ihr einrichten", sagt Anne in einem der gar nicht so vielen Sätze aus Philipp Löhles Stück "Lilly Link", die die Strichfassung des Regisseurs Jan-Christoph Gockel überlebt haben. Ein zentraler Satz ist das, denn er charakterisiert diejenigen in Löhles Stücken, die erwachsen zu sein meinen, die Realisten und Pragmatiker. Löhle aber geht es um die Anderen, um die Konsequenten, die sich eben nicht einrichten, sondern an einer Idee festhalten.

Das kann Lilly Link sein, die der irgendwie revolutionären Gruppe "Fünf Sinne" angehört und mit irgendwie politisch gemeinten Anschlägen aufs Riechen, Sehen, Schmecken, Hören und Fühlen den Blick der Öffentlichkeit wieder auf die Mitmenschlichkeit lenken möchte. Als Einzige aus ihrer Gruppe will sie sich nicht in der Welt einrichten, sondern immer weitermachen. Das kann aber auch Mörchen aus "Die Kaperer" sein, der Erfinder, der ohne Rücksicht auf Verluste der Idee seines perfekt ökologischen, fensterlosen, Hochwasser-resistenten und pinken Hauses anhängt. Oder Gospodin aus "Genannt Gospodin", der sich – ob aus Bequemlichkeit oder echter Überzeugung – gegen jegliches Haben und für das Sein entscheidet: Arbeit und Geld lehnt er ab, dafür aber hält er sich – gleichsam als Lebensform und -grundlage – ein Lama.

Idealisten in der Senkrechte

Jan-Christoph Gockel hat am Berner Theater diese drei Stücke von Philipp Löhle zur "Trilogie der Träumer" zusammengefasst – wobei es schon sehr in Frage steht, ob Löhles Helden eigentlich Träumer sind. Vielleicht eher Idealisten und Visionäre? Kompromisslose? Außenseiter? Freaks? Oder gar Fanatiker? Gockel jedenfalls hat die drei Texte ordentlich zusammengestutzt und ist auch ansonsten höchst frei mit ihnen umgegangen – und hat so eine enorm temporeiche und kurzweilige Aufführung kreiert, Fantasieüberschuss inbegriffen.

Die Inszenierung könnte auch "Trilogie der Tüftler" heißen, denn das Ausgetüftelte wird hier großgeschrieben. Wenn die "Fünf Sinne"-Gruppe in einer (bei Löhle so nicht vorgesehenen) Talkshow ihre Anschläge auf die Sinne erläutert, dann werden zur Illustration abenteuerlich zusammengepappte Pseudo-Maschinen durchs Publikum gezogen. Im Bühnenbild der "Kaperer" mischen sich ähnlich seltsame Apparaturen mit Minimundus-Elementen: ein Miniatur-Felsgipfel, Mörchens pinkes Modellhaus, Schleich-Tiere und Marionetten. Die imposanteste Marionette allerdings hat erst in "Gospodin" ihren Auftritt: das Lama, dessen Augenklimpern wohl noch den Verstocktesten betören wird.

TrilogiederTraeumer1 700 Annette Boutellier"Trilogie der Träumer" vom Schauspiel Bern, vorne Andri Schenardi © Annette Boutellier

Gospodins Welt ist zudem um 90 Grad in die Senkrechte geklappt, so dass die Zuschauer seine Wohnung mit Sesseln, Bett, Tisch und Bildschirm wie aus der Vogelperspektive sehen – eine akrobatische Herausforderung an die Darsteller, die in diesem Vertikalzimmer buchstäblich gegen die Schwerkraft anspielen müssen. Die solchermaßen verdrehte Welt ist symptomatisch für Gockels Inszenierung – sie zeigt diejenigen, die sich nicht in den Gegebenheiten einrichten wollen, in erster Linie als schräge Vögel. Gockel hat sich somit entschieden: gegen die Revolutionäre und für die Freaks, gegen das Existentielle, das in Löhles Stücken auch mitschwingt, und für den Witz. Den aber kann er – dem famosen, enorm reaktionsschnellen, improvisationsfreudigen und sehr jungen Berner Ensemble sei Dank – mit großer Überzeugungskraft ausspielen. Jubel in Heidelberg.

 

Trilogie der Träumer
von Philipp Löhle
Regie: Jan-Christoph Gockel, Bühne und Kostüme: Julia Kurzweg, Puppenbau: Michael Pietsch, Musik: Jacob Suske, Konstruktion Maschinen: Mirjam Ramser, Benedetto Ruocco, Dramaturgie: Karla Mäder.
Mit: Marcus Signer, Mona Kloos, Benedikt Greiner, Philine Bührer, Andri Schenardi, Michael Pietsch, Freija Geniale.
Dauer: 3 Stunden 10 Minuten, eine Pause.
www.konzerttheaterbern.ch

 

Zum Inszenierungsporträt von Georg Kasch

 

 

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