Totalverweigerer und Grenzegoisten

von Georg Kasch

Lamas sind genügsame Tiere. Sie ernähren sich von Gräsern, Sträuchern und Flechten, tragen geduldig Lasten, geben Wolle und eignen sich wegen ihres gutmütigen Charakters für die tiergestützte Therapie. Sie sind ökologisch, alternativmedizinisch und psychologisch wertvoll, kurz: die ideale Projektionsfläche für Weltverbesserer wie Lilly, Möhrchen und Gospodin. So heißen die (Anti-)Helden in Philipp Löhles "Trilogie der Träumer", also in "Genannt Gospodin", "Die Kaperer" und "Lilly Link und die Rev…", uraufgeführt zwischen 2007 und 2008 – allesamt Querdenker in einer Welt der Pragmatiker und Desillusionierten.

Ihnen ist das große Dennoch eingeschrieben, ein kompromissloses Sich-Auflehnen gegen etwas, das viel größer ist als sie, unüberschaubar. Drei Widerständler, die sich dagegen wehren, dass ihre Ideale auf der Strecke bleiben, während um sie herum alle umkippen. Drei störrische Realitätsverweigerer, nicht unbedingt sympathisch in ihrer politisch inkorrekten Verbohrtheit, die einem dann aber doch irgendwann ans Herz wachsen, weil die Anbiederung ihrer Umgebung an den Status quo ja doch allzu feige ist. Drei Scheiternde, die mal wieder die Frage aufwerfen, ob ein richtiges Leben im falschen möglich ist – und falls ja, wie?

In Gospodin brennt ein Feuer

Einzeln waren die Trilogie-Stücke alle schon uraufgeführt und nachinszeniert (teils bis zu 60 Mal wie "Genannt Gospodin"), als Jan-Christoph Gockel damit beauftragt wurde, sie zum Auftakt der neuen Schauspielleitung in Bern zum ersten Mal an einem Abend – und zugleich als Schweizerische Erstaufführung – zu zeigen. Beide Prämissen formulierten für Gockel die Herangehensweise: Er und seine Dramaturgin Karla Mäder kürzten, nachdem sie sich von Löhle eine Carte blanche geholt hatten, die drei Stücke radikal ein, schrieben sie teilweise um und destillierten jeweils ihren Kern heraus.Trilogie1 700 Annette BoutellierTheater mit Lama: Philipp Löhles "Trilogie der Träumer" in Bern. © Annette Boutellier

So ergab sich keine chronologische, sondern eine zuspitzende Reihenfolge: von Lilly, die in ihrer Aktivistenhaltung (zumindest in dieser kondensierten Fassung) nicht gar so extrem wirkt, über den grenzegoistischen Möhrchen in "Die Kaperer" bis zum Totalverweigerer Gospodin – Gockels Favorit. "Gospodin hat etwas Visionäres, im Glauben an sich, bei sich selbst zu bleiben", sagt er. "In ihm brennt ein riesiges Feuer. Ich glaube schon, dass diese Figur Menschen verändern kann."

Als Scharniere wirken die fünf Schau- und ein Puppenspieler, die die Rollen in allen drei Teilen übernehmen. Julia Kurzwegs Bühnensituationen besitzen alle denselben improvisierten Bastelcharakter, alle drei Stücke wurden konsequent auf schweizerische Verhältnisse gebürstet – und immer mal wieder taucht ein Lama auf.

Skurrile Maschinen, agitatorische Aktionen

Das beginnt schon vor dem ersten Teil, wenn man das Foyer der Vidmarhallen betritt, wo Berns Schauspiel residiert: Dort empfängt das Publikum eine Installation über Schweizer Tüftler, die oft das Pech hatten, mit ihren Erfindungen ein bisschen zu spät zu sein. Hier beginnt dann auch die 30-minütige Live-Talkshow mit Kameramann, zu der "Lilly Link oder die Rev…" schrumpft: Statt des verschachtelten Fortgangs, der erst allmählich in den Dialogen und monologisierenden Rückblicken die Konturen von vergangenen Ereignissen freigibt, versammelt nun ein Moderator im schönsten Schwyzerdütsch die vier Mitglieder der einstigen Protestgruppe "Die fünf Sinne", die mit Aktionen wie einem Parfümattentat aufs U-Bahn-Belüftungssystem und einem kurzzeitigen Versalzen der Trinkwasseranlage die Menschen sensibilisieren wollte.

Während sich die titelgebende Lilly nach wie vor nicht abfinden mag mit der Strukturierung der Welt, sind ihr Exfreund Amoz und die einstige Freundin Anne längst den Versprechungen der Wirtschaft auf den Leim gegangen. Skurrile Maschinen illustrieren ihre früheren Aktionen (und beziehen sich zugleich spielerisch auf die Ausstellung). Dieser erste Teil bleibt immer nah am Publikum, räumlich, aber auch agitatorisch: Die Trinkwasseraktion verdeutlicht Lilly, indem sie kleine Plastikbecher mit Wasser herumgehen lässt, die erst auf ihr Signal hin getrunken werden dürfen – es schmeckt versalzen. Lilly geht ab mit der Ankündigung, dass sie sie jetzt rausholt und anpackt, die alten Fragen.

Auf Egotrip im Umwelthaus

Die im Anschluss durchdekliniert werden: Nach einem Umzug in die Vidmarhallen 1 beginnen "Die Kaperer", für die Kurzweg eine alpine Miniaturlandschaft auf die Bühne gebaut hat: Von einem Gletscher rinnt das Wasser durch eine Röhre bis in einen Eimer, den die Schauspieler immer wieder auf den Gletscher leeren müssen. Eine Tafel zeigt Bern aus der Vogelperspektive mit seiner charakteristischen Aareschleife – der Fluss überschwemmt einmal im Jahr die Altstadt, wo das steigende Wasser jedes Mal eine Stimmung zwischen Alarm und Volksfest auslöst.

Auf steigendes Wasser wartet auch Möhrchen, weniger ein Verweigerer als ein Tüftler und Utopist, der ein vollhydraulisches Umwelthaus entwickelt hat, das jeder Überflutung trotzen soll. Doch steht der Praxistest noch aus – und dem Erfinder finanziell das (fehlende) Wasser bis zum Hals. Zur wachsenden Irritation seiner Freunde stemmt sich Möhrchen stur gegen das Scheitern seines Experiments. Während sich Möhrchen zunehmend in sich selbst zurück- und seinen Egotrip durchzieht, verwandeln sich alle Darsteller nach und nach mit Karohemden und als Spieler einer kleinen Möhrchen-Puppe in die Hauptfigur – am Ende findet alles nur noch in Möhrchens Kopf statt.

Die Freiheit zum Nichtstun

Bei "Gospodin" steht dann die Welt völlig Kopf. Jedenfalls vom Parkett aus, von wo aus man in Vogelperspektive auf Gospodins Wohnung blickt mit Küche, Arbeitsecke und Bett. Hier hangeln sich die fünf Schauspieler akrobatisch entlang – wie auch das (Marionetten-)Lama, mit dem sich Gospodin früher sein Geld auf der Straße verdiente und das ihm ausgerechnet Greenpeace weggenommen hat. Bei Gockel ist es noch da – "als Philosoph in Gospodin, als Ideal, um das Gospodin ringt". Geführt wird es von Erbauer Michael Pietsch. "Da werden Erwachsene zu zerfließenden Kindern", erzählt Gockel, "und schlechtgelaunte Banker werden ganz weich".

Der Arbeitsverweigerer Gospodin also steigt so richtig aus der verkehrten Welt aus und schreibt mit Milch seine vier Thesen auf den Boden wie: "Freiheit ist, keine Entscheidung treffen zu müssen." Am Ende, nachdem er durch eine Unmenge Geld in Versuchung geführt wurde und sämtliche Freunde verloren hat, findet er seine wahre Freiheit im Gefängnis. Das ist bei Gockel jener Tresor, in dem zuvor die überraschend aufgetauchte Summe liegt, und wenn sich Andri Schenardi in ihn zwängt, ihn schließt und übers Mikro an seinen Thesen festhält, dann besitzt die Konsequenz dieses Rückzugs schon optisch etwas Schmerzhaftes.

Ein mutiger Schritt

So pendelt der Abend zwischen befreiendem Witz und tragischen Brüchen, die Gockel mit Jakob Suskes melancholischem Soundtrack markiert. Ein Abend, der als schweizerische Erst- und Trilogieuraufführung kein klassischer Fall einer Zweit- bzw. Nachaufführung ist. Für Gockel aber bot sie alle ihre Vorteile: eine größere Freiheit bei Eingriffen sowie eine neue Distanz zu den Strukturen und Themen. Die Entscheidung, mit der Löhle-Trilogie die Saison auf der großen Bühne des Berner Schauspiels zu eröffnen, stammte übrigens von Berns neuer Schauspielchefin Iris Laufenberg. Ein mutiger Schritt, der sich auszahlt – die Vorstellungen von "Trilogie der Träumer" sind immer ausverkauft.

 

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