Naturidylle im Zitat

von Georg Kasch

Heidelberg, 29. April 2013. Oh, diese Mittelstandshöllen: Sehen solide aus, stehen aber immer kurz vor der Implosion. So auch hier, auf diesem Holzdeck, das ein breiter Steg sein könnte oder eine Terrasse. Zwei Paare Anfang Vierzig begegnen sich nach vier Jahren wieder und befinden sich bald im psychologischen Stellungskrieg – jeder gegen jeden. Ein wenig wirkt Dea Lohers "Am Schwarzen See" wie ein Negativabguss von Yasmina Rezas Erfolgskomödie "Der Gott des Gemetzels": Hier wie da zwei Elternpaare, von ihren Kindern zusammengeführt, die dann aber eigentlich nur über sich reden und dabei ihre Fratzen entblößen. Allerdings sind Nina und Fritz tot, haben sich umgebracht, gemeinsam, auf dem titelgebenden Wasser.

AmSchwarzenSee1 250 Thomas MuellerHauptsache Seeblick © Thomas MüllerNatürlich suchen die Eltern nach Antworten und reißen beim Kreisen um das Unbegreifliche alle Gewissheiten ein. Je intensiver sie Indizien sammeln, desto deutlicher wird, wie wenig sie ihre Kinder kannten. Offen bleibt bei Loher, ob es pubertärer Lebensüberdruss war, Widerstand gegen ihre durchökonomisierten Eltern – die einen sind Besitzer einer Brauerei, der andere ist Banker – oder ein Fanal gegen die Sinnlosigkeit der Welt.

Choreografien und Gruppengespräche

In Wojtek Klemms Göttinger Zweit-Inszenierung sind von der Naturidylle nur noch Zitate geblieben, die Leuchtschrift "Seeblick" und ein Ficus, den Eddie einmal eingräbt, als könne er mit diesem Akt etwas Bleibendes schaffen, jetzt, da sein eigener Stammbaum abgeschnitten ist. Wie Probanden einer Versuchsanordnung wirken die vier Schauspieler, getrieben von inneren Dämonen, gebremst von ihren bürgerlichen Umgangsformen. Ihre Verhältnisse untereinander deutet Efrat Stempler in von Pina Bausch inspirierten Choreografien an, daneben wird viel geredet: Monologe an der Rampe, die Gruppengespräche in Korbstühlen.

Das ermüdet zuweilen, weil zwar viel schmutzige Wäsche gewaschen wird, sich die Figuren jedoch nicht entwickeln. Wie sie aber auf der Stelle treten – Klemm deutet am Ende eine geschlossene Gesellschaft an, eine Vorhölle – hat es dank Lohers Fragen nach der Ökonomisierung unseres Lebens dann doch in sich.

 

Am Schwarzen See
von Dea Loher
Regie: Wojtek Klemm, Ausstattung: Mascha Mazur, Choreografie: Efrat Stempler, Musik: Micha Kaplan, Dramaturgie: Lutz Keßler.
Mit: Nadine Nollau, Andreas Jeßing, Andrea Strube, Meinolf Steiner.
Dauer: 1 Stunde 35 Minuten, keine Pause

www.dt-goettingen.de

 

Zum Inszenierungsporträt von Simone Kaempf

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