Wer opfert sich?

von Georg Kasch

Heidelberg, 30. April 2013. Diese These muss man sich erst einmal auf der Zunge zergehen lassen: "Albert Einstein ist der größte Hexenmeister aller Zeiten", sagt Gotta Depri und meint das anerkennend. Denn was bitte ist jene ominöse Technik, mit der wir die Wunder der modernen Welt erklären, Telefon, Computer, Internet? Nichts als "Weiße Magie", befindet das Kollektiv um Monika Gintersdorfer und Knut Klaßen.

WeisseMagie 250 LeaDietrichWie tanzt man Facebook, Autos, Fernseher? © Lea DietrichAlso tanzen die drei Schauspieler vom moks, der Jugendsparte des Theater Bremen, zusammen mit dem ivorischen Performer Depri auf der leeren Bühne mit charakteristischen Gesten Facebook, Fernseher und Autos, erzählen von den zauberbegleiteten Initiationsriten der Elfenbeinküste und behaupten, dass auch unsere Entscheider, also Politiker und Wissenschaftler, von den Geistern aus einer Parallelwelt (das, was wir als das Reich der Träume verstehen) instruiert werden.

Alberner Spuk oder bitterer Ernst?

Starker Tobak, wunderbar performt, der noch stärker wird, als gefragt wird, ob sich ein Jugendlicher aus dem Publikum – analog zum ivorischen Initiationsritus – opfern würde, damit der jungen Generation seiner Stadt ein Wunsch erfüllt wird. In Heidelberg kristallisiert sich bald der erfolgreiche Schulabschluss als kollektiver Wunsch heraus, ein Junge meldet sich freiwillig, wird auf der Bühne umtanzt – und muss dann entscheiden, ob er mit etwa 21 sein Augenlicht, seine Zeugungsfähigkeit und seine Freiheit verlieren will zum Wohl der Anderen. Natürlich glaubt niemand im Raum so richtig an diesen Humbug. Eigentlich. Andererseits ist da die Stimmung längst auf einem Siedepunkt, klingt das Lachen der Schüler nervös, will sich eine Lehrerin vor den Schüler stellen.

Noch vor seiner finalen Entscheidung bricht die Vorstellung ab. Es bleiben die Fragen: Aus was ist unsere Welt zusammengesetzt? Woran glauben wir? Was ist Magie? Gibt es ein Wir, eine Gemeinschaft? Sind wir zu Opfern bereit? Mit ihnen trifft "Weiße Magie" ins Mark unserer rationalen, säkularisierten, individualisierten Gesellschaft.

 

Weiße Magie
von Gintersdorfer/Klassen
Jugendtheater-Gastspiel moks Bremen
Regie und Text: Monika Gintersdorfer, Bühne und Kostüme: Knut Klaßen, Choreografie: Gotta Depri, Dramaturgie: Sonja Bachmann.
Mit: Philipp Michael Börner, Gotta Depri, Anna-Lena Doll, Lisa Marie Fix.
Dauer: 1 Stunde, 30 Minuten, keine Pause

www.theaterbremen.de/junges-theater

 

Mehr über "Weiße Magie" und die anderen eingeladenen Jugendstücke in einem Essay von Christian Rakow, der die Produktionen ins Panorama des gegenwärtigen Jugendtheaters einordnet.

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