Hackordnung im Küchenstudio

von Wolfgang Behrens

Heidelberg, 3. Mai 2013. Manchmal muss man sich eben doch von der eigentlichen Zielgruppe eines Besseren belehren lassen. Gerade hatte ich noch gedacht: "Hey, David Gieselmann, hey, Grips-Schauspieler, jetzt tragt ihr die Message zum Schluss hin aber echt ein bisschen dick auf, das törnt doch ab!" Im Publikumsgespräch kommt dann aber einer der Schüler von sich aus auf das Ende zu sprechen und sagt, dass er gerade das gut fand. Keiner widerspricht. Am Schluss nämlich haben drei von vier Jungs und ein Mädchen, die gemeinsam ein Antiaggressionstraining im Kochen durchlaufen haben, zwar noch gar nichts erreicht, sie haben aber diese Ansage ihrer Trainingsleiterin kapiert: "Kochen ist immer ein Prozess in kleinen Schritten. Eins nach dem anderen. Und so funktioniert auch das Leben. Kleine Schritte. Eins nach dem anderen." Und deswegen werden die Vier jetzt auch diese verfickte Karotte zu Ende schneiden.

David Gieselmann (hinter dem in Klammern meist noch der Name seiner Erfolgskomödie steht, so auch hier: "Herr Kolpert") hat gemeinsam mit den Leuten des Berliner Grips-Theaters und der Regisseurin Mina Salehpour (die schon im letzten Jahr in Heidelberg mit Fatima, dem späteren Siegerstück, im Jugendstücke-Wettbewerb vertreten war) eine Komödie erarbeitet: "Über Jungs". Die Jungs, um die es hier geht, haben natürlich etwas auf dem Kerbholz: Penner vor die U-Bahn geschubst, Faust ausgerutscht, Sushi-Imbiss angezündet – so Sachen halt. Einer der Jungs, Alex, ist sogar ein Mädchen, das in eine Messerstecherei verwickelt war. Alex kommt etwas später hinzu und bringt so die Hackordnung unter den Jungs noch einmal ordentlich durcheinander. Kochen aber sollen sie nun alle – wobei sich ihre Lust darauf ziemlich in Grenzen hält.

ueberjungs1 700 David BaltzerPrügelknaben im Drei-Sterne-Kochstudio: "Über Jungs" © David Baltzer

Zwischen den mobilen Elementen einer Küchenzeile führen die Grips-Schauspieler ein Typenarsenal vor, das überzeichnet genug ist, um als Spiel mit dem Klischee verstanden zu werden, im Einzelnen aber so liebevoll charakterisiert wird, dass nie die Gefahr der Figurendenunziation droht – sei es der bei Bohlen gescheiterte Superstar-Anwärter, sei es der mit allgemeiner Menschenverachtung kokettierende Wohlstands-Bubi (der als Einziger – er hat ja einen Anwalt – die Erziehungsmaßnahme vorher abbricht), sei es der sexbesessene Klemmi, der so gerne Bordelltester oder Pornokritiker werden möchte.

Zugespitzter Jargon

Wie so oft ist auch hier das Tolle am Gieselmann'schen Humor, dass er die Schrauben immer noch eine Umdrehung fester anzuziehen vermag. Dann galoppieren etwa einzelne Wörter los und ergreifen in obsessiver Wiederholung regelrecht von den Personen Besitz – dem Wort "Penisbruch" ergeht es einmal so: Es wird von Mund zu Mund gereicht, und für einen absurd-witzigen Moment scheinen sich die Jungs überhaupt nicht mehr von ihm lösen zu können. Und auch beim pointiert zugespitzten Jargon der Jungs begnügt sich Gieselmann nicht mit der bloßen Abbildung, vielmehr lässt er manchmal seine Figuren plötzlich von Außen auf die eigene Sprache schauen: "Was denn, was denn, Alder hier: Du warst Bohlen, oder was?" wird gekontert mit: "Was ist denn das fürn Satzbau?" Das alles entwickelt über weite Strecken eine so irrsinnige und oft genug auch erhellende Komik, dass ich auf eine verfickte Message am Ende gut hätte verzichten können. Aber manchmal lässt man sich ja auch eines Besseren belehren.

Über Jungs
von David Gieselmann
Uraufführungs-Inszenierung
Gastspiel Grips Theater Berlin
Regie: Mina Salehpour, Bühne: Jorge Enrique Caro, Kostüme: Maria Anderski, Musik: Sandro Tajouri, Dramaturgie: Winfried Tobias. Mit: Sebastian Achilles, Thomas Ahrens, Jens Mondalski, Robert Neumann, Nina Reithmeier, Regine Seidler, Roland Wolf.
Dauer: 1 Stunde 30 Minuten, keine Pause.
www.grips-theater.de


Zur nachtkritik der Premiere am Grips Theater im Mai 2012

 

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