Gräben überwinden

von Georg Kasch

Heidelberg, 2. Mai 2013. Es ist die alte Pygmalion- und "My fair Lady"-Geschichte: Lou, dreizehn Jahre alt und hochbegabt, gabelt bei ihrer Referatsrecherche zum Thema obdachlose Frauen die 18-jährige No auf, die auf der Straße lebt. Gemeinsam mit ihrem Schulfreund Lucas macht sie sich an das Projekt Weltverbesserung im Kleinen: Sie lassen No bei sich wohnen, geben ihr saubere Kleider, besorgen ihr einen neuen Job. NoundIch 250 Karl-Bernd KarwaszNo und Ich © Karl-Bernd Karwasz

Natürlich muss diese Erziehung des Gossenmädchens zum anerkannten Mitglied der Gesellschaft schiefgehen. Obwohl sie alle eine Verlassenheit eint, eine Unbehaustheit auch in dieser Welt, sind die Gräben, die sie trennen, zu groß. So war das schon in Delphine de Vigans Erfolgsroman "No und Ich", so ist das nun in Juliane Kanns gleichnamiger Stückfassung. Da steht Lou am Ende auf dem Bahnhof, No will die Karten Richtung Irland besorgen – und kommt nicht wieder.

Utopie des Staubsaugers

Kann, die am Jungen Staatstheater Braunschweig auch Regie führte, stellt ihre drei Figuren auf eine Art buntes Schachbrett, lässt sie selten daraus ausbrechen. An die packpapierbraune Wand im Hintergrund skizzieren sie Orte und Requisiten. Das schönste ist allerdings echt, ein automatischer Staubsauger, weiß, klein, elegant, der anmutig über die Bühne huscht. Er steht für Lucas’ einsamen Reichtum – und für die Utopie, dass irgendwann niemand mehr als Putzkraft wird arbeiten müssen.

Weshalb aber kann dieser Staubsauger allen anderen die Schau stehlen? Vielleicht, weil die Konflikte, Sehnsüchte und Nöte letztlich nur vorgespielt werden: No verkauft in geradezu pittoresk zusammengewürfelten Klamotten und mit strähnigem Haar ihre Obdachlosenzeitung, Lou redet immer besonders altklug daher, Lucas als Skeptiker bleibt blass. So rauscht die Geschichte mit ihren Klischee-Zuspitzungen dahin. Bilder, die deutlich machen, was es wirklich heißt, auf der Straße zu leben oder in zwei unterschiedlichen Welten, bleibt diese Inszenierung schuldig.

No und ich
nach Delphine de Vigan, Dramatisierung von Juliane Kann
Uraufführungs-Inszenierung
Regie: Juliane Kann, Bühne und Kostüme: Vinzenz Gertler, Musik: Daniel Freitag, Dramaturgie: Christoph Macha.
Mit: Ursula Hobmair, Nina El Karsheh, Marko Werner.
Dauer: 1 Stunde 30 Minuten, keine Pause.

www.staatstheater-braunschweig.de

 



Kommentare   

+1 #1 Sabine 2013-05-03 10:14
Da haben sie wohl eine andere Inszenierung gesehen, weder bleibt einer der Darsteller blass, noch rauscht die Geschichte vor sich hin. Und wäre der Staubsauger die ganze Zeit über gefahren würde ich ihnen recht geben, der Moment in dem er zum Einsatz kam hingegen war eine präzise Rhythmus-Veränderung, die neben der Beobachtung auch Zeit und Raum für Reflexion gab. Die Szenen waren eindringlich, und wenn ich die Jugendlichen, an die der ja Abend ja gerichtet ist war die große Mehrheit konzentriert. Wieso sie dieNno als Klischee empfunden haben, weiß ich nicht, wenn ich durch deutsche Großstädte gehe entdecke ich viele Obdachlose die exakt so aussehen. Ein großartiger Abend.

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