Das erste Mal auf dem Friedhof

von Simone Kaempf

29. April 2013. Eine Wandtapete zeigt im Hintergrund einen schattigen, impressionistischen Waldweg. Vorne liegt gelbes Laub auf der Bühne. Jette (Bettina Storm) durchpflügt es mit den Händen, schichtet einen kleinen Haufen oder zählt zehn Blätter ab. Zehn für ihren ersten zweistelligen Geburtstag, den sie gerade gefeiert hat. Manche Menschen werden hundert, ihr Bruder wurde nur sechs Jahre alt, erzählt sie. Denn Emil ist gestorben, blass wie Joghurt war er, und irgendwann wurde Jette vormittags aus der Schule von ihrem Vater abgeholt, der stumm auf den Verkehr konzentriert mit ihr nach Hause fuhr.

Schlafen Fische2 Olaf StruckBettina Storm als Jette © Olaf Struck

Wie lässt sich der Tod aus Kindersicht erzählen? Wie die großen letzten Fragen stellen, auf die auch Erwachsene kaum Antworten haben? Jens Raschke behandelt das Thema mit wohldosierter Poetik, leichthändig zwischen den mit Trauer verbundenen Gefühlen switchend in seinem mit dem Mülheimer KinderStückePreis 2012 ausgezeichneten Stück „Schlafen Fische?“.

Leise Komik, trotziges Kind

Mal lässt er seine Hauptfigur über die unterschiedlichen Möglichkeiten des Tods fabulieren: Manche Menschen sterben in explodierenden Mondraketen, werden von fallenden Blumentöpfen getroffen oder vom Blitz auf einer Wiese, manche sterben beim Bergsteigen, beim Klettern auf Bäumen oder weil sie eine Wespe verschluckt haben. Solche phantasie-strotzenden monologischen Einschübe wechseln mit der traurigeren Erzählung vom Ablauf der Beerdigung, der ständig weinenden Mutter bis hin zu einer Kindertrauergruppe, die Jette schließlich selbst besucht. Berührend ist das alles, weil es gleichzeitig die Spannbreite des Lebens miterzählt.

Dass Raschke seine kindliche Figur formal austariert ist das eine. Die preiswürdige kleine Arbeit funktioniert aber vor allem auch wegen der Schauspielerin Bettina Storm, mit der Raschke die Uraufführung in Kiel erarbeitet hat. Wird es ernst, kitzelt sie die leise Komik aus dem Text, ein wenig trotziges Kind, das die Lage erkannt hat, aber nicht jede Erwachsenen-Erklärung hinnehmen will. Sie trägt bunte Gummistiefel, Haarspangen und Zöpfe, ohne in falsche Kindlichkeit zu verfallen. Das ganze mit viel Identifikationspotenzial auch für erwachsene Zuschauer. Und genügend Spiellust, um vier Schulklassen während der Heidelberger Vormittags-Vorstellung im Bann zu halten!

 

 

Schlafen Fische?
von Jens Raschke
Uraufführungs-Inszenierung
Gastspiel des Theater Kiel, Theater im Wertfpark
Regie: Jens Raschke, Ausstattung: Stefani Klie.
Mit: Bettina Storm.
Dauer: eine Stunde, keine Pause

www.theater-kiel.de

 

Das Video zum Gastspiel: Kritische Stimmen der jungen Zuschauer

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