Der griechische Patient

von Georg Kasch

Heidelberg, 28. April 2013. Was haben wir eigentlich mit der Krise in Griechenland zu schaffen? Jede Menge, lehrt uns "Poli-Kratos". Sechs Personifizierungen (des Kapitalismus, der korrupten Politikerkaste, des griechischen Volkes) suchen beim Blick in die jüngere Geschichte ihre Identität. Dort finden sie vor allem Gewalt und Leid, an der die Deutschen ihren Anteil haben: Während der Besatzung von 1941 bis 1944 plünderten sie das Land systematisch, hunderttausende Menschen starben an Hunger, Tuberkulose und im Partisanenkrieg. Deutschland schuldet den Griechen als Rechtsnachfolger des Deutschen Reiches offenbar noch immer eine Summe im dreistelligen Millionenbereich. Auch pikant: Weil der Chef der griechischen Siemens-Niederlassung, der an der jahrzehntelangen Praxis der Politiker-Bestechung Anteil hatte, nach Deutschland fliehen konnte, ist er bis heute auf freiem Fuß.

Poli-Kratos 250 Maria GozadinouVerschlungene Verhältnisse in "Poli-Kratos"
© Maria Gozadinou
Das allein ist viel Stoff, aber nur ein Bruchteil des Textes, an dem sich die sechs Schauspieler sisyphoshaft abarbeiten. Alles, aber auch wirklich alles, was in Griechenland schiefgelaufen ist während der letzten hundert Jahre – Besatzung, Bürgerkrieg, Militärdiktatur, die aus dem Ruder gelaufenen Olympia-Kosten und natürlich die Wirtschaftskrise, unsinniges Bauen, Ausverkäufe, Korruption –  scheint die Kanigunda-Company aus Athen hier zusammengetragen zu haben, um es dem Publikum wütend und entsprechend ungefiltert in langen Rampen-Monologen vor die Füße zu spucken. So formt sich allmählich ein sich an den Rändern ordentlich ausfransendes Bild vom griechischen Patienten.

Ungefilterte Wut

Das auch deshalb einer endlos mäandernden Belehrungsorgie gleicht, weil es kaum Bilder gibt, die sie in Form bringen würden. Anfangs trippeln die sechs Schauspieler hypernervös über die bis auf zwei Sessel und eine Pflanze leere Bühne, später schließen Fotos das Hunger-Jahr 1941 mit der Apathie von 2012 kurz (was durchaus berührt), irgendwann schauen die Mächtigen der Welt grimmig von der Leinwand im Hintergrund herab. Der Rest ist ungeordnete Wut mit wenigen, vor allem sprachlichen Wiederholungsmustern. Während der Diskussion Theater in der Wirtschaftskrise ein paar Stunden zuvor hatte der Kanigunda-Regisseur Yannis Leontaris gesagt: "Wir besitzen noch keine ästhetische Sprache, um über die Krise zu diskutieren." Anschaulicher hätte er seine These nicht illustrieren können.

 

Poli-Kratos
Uraufführungs-Inszenierung
Gastspiel Kanigunda Company, Athen
Regie: Yannis Leontaris, Bühne und Kostüme: Thalia Istikopoulou, Choreografie: Haris Pehlivanidis.
Mit: Anthi Efstratiadou, Yiorgos Frintzilas, Maria Maganari, Efthimis Theou, Rebecca Tsiligaridou, Marianna Tzani. Dauer: 2 Stunden, keine Pause

www.kanigunda.gr

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