Spitze Zungen und Revolver

von Simone Kaempf

Heidelberg, 28. April 2013. Stellen Sie sich vor, drei Athener der Generation Couch-Potato machen ernst und laden einen Touristen, der sie auf der Straße nach dem Weg gefragt hat, abends zu sich nach Hause ein. Schreck bekommen? Zu Recht! Es ist nicht gerade ein Bild der Gastfreundschaft, das Regisseur Yannis Kalavrianos in seiner am Nationaltheater Athen entstandenen Inszenierung von "Austras oder Unkraut" entwirft. Drei Heranwachsende fläzen sich in Jogginghose und schlunzigem T-Shirt auf Sofa, Sessel und Teppich herum. In dem bunten WG-Wohnzimmer studieren sie via 3D-Brille in einem Bildband schnell noch die Akropolis. Mäßig gebildet und von Vorurteilen geprägt sind diese drei Exemplare, das Gegenteil von weltoffen, aber auch bestaunenswert charmant und schlagfertig.

Austras oder Unkraut 250 Grigoris GalGeneration Couch-Potato
© Grigoris Gal
Vor allem die Schauspielerin Lena Papaligoura ist eine Ausgeburt an Spitzzüngigkeit. Vom ersten Satz an, der Gast ist noch gar nicht eingetroffen, breitet sie ein Panorama an Vorurteilen aus – über stets pünktliche, getrennt zahlende, kleinkarierte mitteleuropäische Touristen, über Farbige als Handtaschendiebe genauso wie über tapfere griechische Männer, denen ihre Mütter die Wäsche waschen. Und natürlich bestätigt sie in ihrer Rolle selbst das Klischee, den Hintern nicht hoch zu kriegen und das, was ihr fremd ist, von vorneherein abgestempelt in Schubladen zu stecken.

Schonungsloser Umgang mit Mythen und Lebensweisen

Das Stück schont nichts und niemanden, alle Vorurteile werden rausgelassen. Gespielt wird mit hochgeladenem Energiepegel, pointenreich und mit ironischen Brüchen. In kleinen chorischen Einschüben steigen die Darsteller aus ihren Rollen: Der Abend will auch eine neue Form des Volkstheaters sein, die derzeitige griechische Lebens-Realität verarbeitet, und zwar ziemlich drastisch. Als der Gast sich in der Aussprache des griechischen "th" vertut, wird ihm der Revolver an den Kopf gedrückt.

Es ist kein Zufall, dass die Autorin Lena Kitsopoulou die Gewalt im Moment des sprachlichen Nicht-Verstehens ausbrechen lässt und die physische Bedrohung als Ventil herhalten muss – in der Podiumsdiskussion am Nachmittag konnte man erfahren, dass die Griechen ihre Diskussionen über die derzeitige schwierige Situation sehr emotional führen, ihnen für strategische Lösungen schlichtweg immer noch die Sprache fehlt. 

Kitsopoulou, deren Stück "Diakos" bereits am Tag zuvor in einer Lesung vorgestellt wurde, nimmt von den in Heidelberg präsentierten griechischen AutorInnen die radikalste Position ein und geht in ihren Stücken schonungslos mit griechischen Mythen und Lebensweisen um. Die Regie macht aus "Austras oder Unkraut" einen kurzen knackigen Abend, der mit ironischen Brüchen gegen die Klischees anarbeitet, die er selbst produziert. Dennoch geht das Stück am Ende nicht auf, bricht die Inszenierung einfach ab, wo die Situation weitere Wendungen vertragen könnte: Der Gast wird verletzt, die drei GastgeberInnen wirken psychisch angeschlagen, alle sind Opfer, Licht aus. Viel zu abrupt ist dieses Ende, das sich um die Haltung drückt, ob das ernst gemeint war oder doch nur als Karikatur auf die Verhältnisse dient.

 

Austras oder Unkraut
von Lena Kitsopoulou
Uraufführungs-Inszenierung
Gastspiel des Nationaltheater Griechenland, Athen
Regie: Yannis Kalavrianos, Bühne: Ioanna Tsami.
Mit: Grigoris Galatis, Vassislis Karaboulas, Lena Papaligoura, Yiorgos Tsouris.
Dauer: eine Stunde, keine Pause

http://www.n-t.gr/en

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