Mit echter Biomasse!

von Christian Rakow

Der Titel "Mensch Maschine" verspricht eine große Geschichtslinie: also mindestens von La Mettries "L'homme machine" (1747) bis zum stilprägenden Avantgardepop-Album "The Man-Machine" von Kraftwerk (1978). Im Stück geht es um nicht weniger als den ersten Menschen, "der seine biologische Hülle transzendieren wird", und das in Dialogen mit Sound: "hol sie aus dem tiefschlaf, bevor wir hier noch einen dekubitus kriegen wie in der geriaterie."  Dazu gibt es Regieanweisungen wie "MAHLER, SYPMPHONIE No. 6 – 1. ALLEGRO. ENERGICO. MA NON TROPPO. HEFTIG, ABER MARKIG".

Hier packt also ein Autor schweres Gewicht an. Aber er schultert es auch! Konstantin Küspert (Jahrgang 1982 aus Regensburg) war u.a. als Regieassistent im Team von Claudia Bosse aktiv und trat als Autor mit "Pest" bei den Wiener Werkstatttagen 2011 in Erscheinung. Seit 2010 studiert er Szenisches Schreiben an der Universität der Künste in Berlin. Zuvor widmete er sich in Regensburg und Wien den Geisteswissenschaften – Germanistik, Philosophie, Politikwissenschaft und Theaterwissenschaft. Und das merkt man, auf wunderbar unangestrengte Weise.

Das Gehirn am seidenen Elektrofaden

Sein bei Suhrkamp verlegter Text "Mensch Maschine" kommt im Gewand der Farce daher. Ein Team von Wissenschaftlern bricht nachts in eine Wohnung ein, um einen jungen Mann – lapidar "Er" – zu entführen. Da "Er" gerade mit einer Arbeitskollegin nach vollendetem ersten Date im Bett liegt, wird "Sie" kurzerhand auch betäubt und mitgenommen. Die Reise des Grauens führt in ein Labor, in dem die Wissenschaftler einer anonymen Kundschaft eine bahnbrechende Entwicklung vorstellen wollen: eine Rundum-Computersimulation für den Menschen der Zukunft.

Und also setzt der Teamleiter mit dem sprechenden Code-Namen "Jupiter" das Skalpell an, und die Götter in Weiß lassen das Blut spritzen, bis "Er" nur noch als Gehirn am seidenen Elektrofaden hängt, umgeben von einer Nährsalzlösung, stimuliert durch ein Computerprogramm, das dem amputierten Kopf alle nötigen Umweltreize vorgaukelt. Willkommen im Second Life, diesmal mit echter Biomasse!

Was sich nun entspinnt, ist ein handfester Bewusstseins-Krimi mit feiner philosophischer Unterfütterung. Schon das Szenario des "Gehirns im Tank" entstammt ja einer berühmten Skeptizismus-Diskussion des amerikanischen Denkers Hilary Putnam. Mit Filmen wie "Matrix" ist es längst ins popkulturelle Gedächtnis gewandert. Küspert rückt das Bild wieder ein gutes Stück näher an die philosophische Reflexion. Kostprobe:

„also computer und hirn erfüllen ähnliche funktionen, aber die unterschiede liegen im lernen. Ein problem könnte die tatsache sein, dass der computer anders lernt als das mit ihm verbundene gehirn, sowohl in geschwindigkeit als auch in komplexität der querverbindungen. der computer kann zwar viel schneller verarbeiten durch seine architektur, aber das menschliche gehirn hat sehr viel komplexere querverbindungen, arbeitet also im sinne der informationsverarbeitung viel gleichzeitiger, sozusagen.“

Der Kuss-Standard-Datensatz ist mangelhaft

Aber keine Sorge. Auch wenn Küspert immer wieder ziemlich handfesten Wissenschafts-Jargon aufbietet, ist sein Drama keine Angelegenheit für neurobiologische Fachkongresse. Und der Krimi-Plot zieht: Sobald "Er" erst einmal präpariert ist, tauchen wir in das Innenleben seines Bewusstseins ein. "Er" wacht auf, geht ins Bad und muss sich schon wundern, warum sein Hund Horatio noch so träge in der Ecke liegt. Ein Programmfehler. Draußen im Labor hackt derweil der Informatiker des Teams wie wild Daten in den Rechner: "der hund ist gleich fertig mit booten."

So geht es ab jetzt hin und her. Draußen sehen wir die Forscher leicht überfordert mit der Optimierung ihrer Informatik, wobei zugleich immer auch die argwöhnische Kundschaft besänftigt werden will. Und drinnen stößt "Er" auf immer mehr Hindernisse und Brüche in der virtuellen Architektur. Schließlich entlarvt ein Kuss mit "Ihr" das Illusionsgebilde. Die Forscher hatten leider Standard-Daten für einen Kuss eingespeist. Aber so wie "Sie" küsst, das ist eben einzigartig. Man wird die echte Person noch einmal für eine zusätzliche Datensatzgewinnung ausquetschen müssen (gut, dass sie auch entführt wurde).

Hinaus ins Offene! Wittgenstein lässt grüßen

Küspert erzählt sein – im wahrsten Sinne des Wortes – Gedankenexperiment mit Tempo, direkter Prosa und großer Lockerheit. In der komplexen Anlage scheint sein Text fast eher für ein Filmskript denn für das Theater geeignet (aber starke Herausforderungen haben der Bühne ja noch nie geschadet). Und eine feine Pointe für die skeptizistische Frage "Wie weiß ich, ob meine Welt wirklich ist?" hat er auch parat. Nicht sich ins Kämmerlein zurückziehen und räsonieren, wie dereinst René Descartes in seinen "Meditationen", sondern hinaus ins Offene treten, Begegnungen suchen, Komplexität erhöhen!

Indem "Er" Kontakte mit den virtuellen Mitmenschen maximiert, bringt er das künstliche System an den Rand seiner Leistungsfähigkeit. Schönes Zusammentreffen mit "Jemandem" auf der Straße (innerhalb der Bewusstseinswelt wird "Er" vom Text als "Du" angesprochen):

DU:                       hallo ist ihnen irgendwas aufgefallen heute.
JEMAND:             ich habe sie nicht verstanden.
DU:                       ob ihnen irgendwas komisch vorkommt heute.
JEMAND:             nein, mir kommt nichts komisch vor heute.
DU:                       gar nichts?
JEMAND:             gar nichts.
DU:                       auch nicht die tatsache, dass sie 5cm über dem boden schweben?

Und die Forscher: „scheiße.“

Da versteckt sich in Küsperts Stück bei aller Komik und aller coolen Subjekttheorie also auch ein sozialer Gedanke, fast wie bei Ludwig Wittgenstein: Gewissheit über deine Realität erlangst du nicht allein, dafür braucht es eine Gemeinschaft und den kommunikativen Austausch. Im Miteinander schwirren die Variablen, die der Computer (noch) nicht algorithmisieren kann. So geht das Endspiel um die Zukunft einstweilen 1:0 für den alten Menschen aus (wobei Küspert einen offenen Epilog parat hält). Und für das Auftaktspiel des Dramatikers Konstantin Küspert darf man auch Treffer erwarten.

 

 Lesung von "Mensch Maschine" am dritten Autorentag, 5. Mai, um 12 Uhr, im Alten Saal.

Kommentare   

+2 #2 MaschinistenChristian Rakow 2013-05-01 08:45
@ Korrektur. Danke für den Hinweis! Ich glaube, in meinem Kopf spukte noch irgendwie "Delta Machine" von Depeche Mode herum. Deshalb der Griff nach dem englischen Titel.
+3 #1 KraftwerkKorrektur 2013-04-30 13:35
Das Kraftwerk-Album wurde zuerst in Deutschland veröffentlicht und heißt "Die Mensch-Maschine". "The Man-Machine" ist die englische Version mit englischen Texten.

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