Die Köterin an der Achillesferse

von Michael Stadler

Das ist schon ein Ding mit der Sprache, wie so ein Wort die Natur einer Sache festmachen kann, ob sie teuflisch brennend oder wohltuend heiß daherkommt. Die US-Komödie "10 Dinge, die ich an dir hasse" hat 1999 Shakespeares "Der Widerspenstigen Zähmung" ins Highschool-Heute, Shakespeares Verse ins Teenie-Parlando übersetzt. In einer Szene, erzählt Katja Brunner, will die Tochter mit ihrer Freundin abends aus dem Haus schleichen. Als der Vater beide erwischt, versichern sie ihm, dass sie "bloß" auf eine Party gehen. Klar, meint Daddy: Und die Hölle ist auch nur eine Sauna.
Dieser Satz ist Brunner am Fliegenpapier ihres Gedächtnisses kleben geblieben, "wie man Dinge unter den Teppich kehrt, indem man sie kleiner macht und damit weniger brisant aussehen lässt". An das brisante Thema Machtmissbrauch wagte sie sich schon in ihrem Debüt-Stück "von den beinen zu kurz" heran. In dem blickte die gerade mal 19-jährige Autorin ins dunkle inzestuöse Herz einer Kleinfamilie: Im Diskurs-Dreieck Vater, Mutter, Tochter rüttelte sie simple Täter-Opfer-Modelle durcheinander, das vermeintlich Dämonische erscheint alltäglich, gebräuchlich: menschlich. Jeder Sprecher, so Brunner, vollzieht die möglichen Stationen des Missbrauchs nach, erfindet sie neu, was zu konkurrierenden Versionen der Vergangenheit führt. Das Stück ist zu den diesjährigen Mühlheimer Theatertagen eingeladen.

Fritzl und Pocahontas im Universaldorf

Auch in "Die Hölle ist auch nur eine Sauna" wird versucht, im Reden nach Vergangenem zu greifen, es zu begreifen, es zu (er)finden. Brunner entfaltet ihr Stück dabei in ausufernden Textflächen. Mit Zwischentiteln macht sie Themenkomplexe fest und ordnet sie mitunter bestimmten Diskurspositionen zu, die sie zu Beginn benennt: "Die da unten", "Der Hermaphrodit", "Die Amazone", "Das Mädchen". Diese vier Randexistenzen lässt Brunner ohne Doppelpunkt und Anführungszeichen zu Wort kommen. "Sprechen ist die letzte Bluse/das letzte Hemd, das sie haben", schreibt sie am Stückanfang und bettet das Geschehen in einem "Universaldorf" ein. Eine Sauna ist kein Einzelfall. Hölle ist überall.

Die medial durchdeklinierten Missbrauchsfälle Kampusch und Fritzl spuken in dem Stück von Anfang an herum. "Die da unten" wohnt im hauseigenen Verlies, um sich fünf Kinder (insgesamt waren es mal zwölf). Zunächst spricht jedoch das Universaldorf, in einer Rede, in der Gedankenstriche die zwei, drei oder unendlich vielen Gesprächspartner markieren. Der Diskurs führt dabei zurück zu den biblischen Anfängen der Geschlechterdualität, wobei es weniger um Adam und Eva, als vielmehr um die Schlange geht: Was die wohl gedacht haben mag, wieso sie den Sündenfall anzettelte. („Gott hat einfach keine Lust, zu nähen. Sonst hätt er denen schon längst was übergezogen, diesen NUDISTEN.“)

Ungezähmt wuchernde Sprache

Indem sie in ungewohnte Perspektiven übergeht, wirbelt Brunner eingefahrene Dichotomien auf, dringt mit viel Pioniergeist in wenig begangenes (historisches) Minengelände. Von einem Sündenfall kommt sie zum nächsten: Im zweiten Abschnitt "An Captain Smith//Keine Ode an die Rudererin" wird die Geschichte von Pocahontas und Captain Smith rekapituliert. Der weiße Mann modelt die indigene Wilde um. Pocahontas folgt ihm und das, bei Disney und Co., auch noch aus Liebe.
Brunner frischt diese Urszene des US-Kolonialismus mit ungezähmt wuchernder Sprache auf ("das ist quasi Brainwash getrimmt auf 17. Jahrhundert"), um dann im Handumdrehen nicht mehr Smith zu attackieren, sondern die Mitverantwortung der Indianerin zu erkunden: "Wahrscheinlich war Pocahontas eine ganz selbstgefällige Kleine, die wollte einfach zu was Besserem kommen…" Wie ernst das gemeint ist? Die Stimme erzählt auch von Neil Young, der sich des Pocahontas-Stoffes annahm, um einen kolonialkritischen Song um sie zu bauen (später "süffisant" gecovert von Johnny Cash). Eine ähnliche Übernahme inszeniert Brunner hier: Es bricht sich eine (männliche?) Gegensicht Bahn, welche aus der Hölle der Pocahontas eine Sauna macht, in der sie selbst lustvoll mitschwitzte.

Die Außenseiter kommen im performativen Akt des Sprechens zum Vorschein. Sie selbst lese ihre Texte im Laufe des Schreibprozesses laut, so Brunner, auch mit anderen zusammen, "um aus diesem Schreibkämmerchen herauszukommen und gemeinsam die Verbindungen zwischen den Texten anders zu denken". Als Kind hat sie diese Vorliebe für das gesprochene Wort bereits gehabt, spielte als Teenager Jugendtheater und begann, eigene Stücke zu schreiben. Heute pendelt sie weiterhin zwischen Autorschaft und Darstellung. Mit der Gruppe "Die Schinken von morgen", zunächst als Punkband gegründet, tritt sie auf, beispielsweise am Theater Neumarkt in Zürich. Im Spätherbst beginnen die Proben zu einem weiteren Projekt für das Theaterhaus Gessnerallee.

Schamlippen? Schamstengel!

Momentan studiert Brunner zudem Literarisches Schreiben am Literaturinstitut Biel, einem Studiengang der Hochschule der Künste Bern, sowie Szenisches Schreiben an der Universität der Künste Berlin. Der Prosafokus in Biel, der Theaterfokus in Berlin machen sich in ihrem Werk bemerkbar: Brunner ist eine emsige Spracherforscherin, die sich fließend zwischen Prosa und Dramatik bewegt und dabei erfindungsreich am männlich bestimmten Diskurs rüttelt: "Bei Männern ist es mit dem Schämen schon nach dem Schamhaar vorbei", sagt "die Amazone" im Stück, "und hier bei den Weiblichen, da geht es weiter, aha, Schamhügel und Schamlippen davon auch gleich noch große und auch kleine, ja spannend und darum schlage ich jetzt vor für die anderen: Schamstengel und Schambeutelchen." Wie steuerungsunfähig Frauen seien, das höre man doch schon, wenn man versuche, das Wort "Rudererin" zu sagen, heißt es zuvor in der Rede an Captain Smith.

Man muss nun mal einen Umgang damit finden, dass die Sprache männlich geprägt sei, sagt Brunner: "Es gibt die Sackgasse der Sprachlosigkeit. Oder den anderen Weg, sich darüber lustig zu machen. Wobei das von Anfang an nur ein kläglicher Versuch sein kann: Das ist wie ein kleiner Köter, der permanent versucht, in die Achillesferse seines Halters zu beißen. Aber er kriegt es nicht hin. Die Achillesferse ist zu weit weg." Ein sinnvolles Projekt ist dieser Kampf jedoch allemal: "Es geht darum, nicht die Opferposition Frau zu zementieren, sondern um Linderung durch Ironie, durch das Besetzen des Diskurses. Raus aus der Opferschaft, der Paralyse – durch Sprache!"

Utopie: Hermaphrodit

Mit der zentralen Figur des Hermaphroditen imaginiert die junge Autorin ein Wesen im Dazwischen, eines, das sich zusammengebastelt fühlt und von allen Seiten bedrängt wird, dabei außerhalb oder gerade mitten im Geschlechterdiskurs steht. Die Leiden der Pubertät durchlebt er/sie/es im gleichen Maße. Am Ende imaginiert die Amazone den Hermaphroditen als göttlichen Schöpfer eines "wahren Geschlechts", das sich nach Belieben fortpflanzt: "jeder soll penetrieren und penetriert werden". Ihre Utopie kann der Trichotomie "er/sie/es" jedoch nicht entkommen.

Es müsste schon eine neue Sprache erfunden werden. Mission impossible? Katja Brunner kehrt mit ihren 21 Jahren jedenfalls schon sehr sprachmächtig Unter-den-Teppich-Gekehrtes wieder hervor. Macht aus der Sauna wieder eine Hölle. Oder anders gesagt: Die Köterin an der Achillesferse hat Biss!

 

Lesung von „Die Hölle ist auch nur eine Sauna“ am dritten Autorentag, 5. Mai, 13.30 Uhr, im Alten Saal.

Kommentar schreiben