Tableaux Vivants auf dem Bretterpodest

von Wolfgang Behrens

1. Mai 2013. Diese Inszenierung ist bereits mit einer ziemlich bewegten Rezeptionsgeschichte im Gepäck nach Heidelberg gereist. Denn gleich der erste Kritiker von "Dschingis Khan" warf der Gießener Performance-Gruppe Monster Truck vor, sie habe in der Aufführung drei Behinderte mit Down-Syndrom, die vom Berliner Theater Thikwa kommen, "benutzt". Sofort entbrannte auf nachtkritik.de eine heftige Diskussion, in der der Kritiker recht hart angegangen wurde. Was war geschehen?

"Dschingis Khan" wartet rein äußerlich mit einer Grundidee auf, die regelrecht kindisch und auch ein bisschen zynisch anmutet: "Mongos" spielen Mongolen. Bewehrt mit schaurig verfilzten Haarmähnen, arrangieren die drei Thikwa-Schauspieler auf einem simplen Bretterpodest und zu dröhnender Musik Tableaux vivants aus dem Leben der Mongolen zur Zeit von Dschingis Khan. Das kann mitunter recht lustig werden, wenn etwa Sabrina Braemer eine Begrüßungsansprache in schönstem Fake-Mongolisch hält oder Oliver Rincke beim Schwertschwingen ostentativ seinen Speck schüttelt.

DschingisKhan1 700 Ramona Zuehlke"Dschingis Khan" mit Sabrina Braemer © Ramona Zühlke

Da die Drei bei ihrem Tun von der Monster Truck-Performerin Sahar Rahimi ständig einfach gehaltene Anweisungen erhalten, als befinde man sich auf einer Probe ("Johnny, geh' auf die Bühne und gehe im Kreis!"), kann man so tatsächlich den Eindruck gewinnen, dass hier nicht-selbstbestimmte Menschen auf äußeren Druck reagieren und zu etwas bewegt werden, was sie von sich aus nicht täten. Dass sie "benutzt" werden.

Styroporköpfe ins Publikum

Doch genau das ist die raffinierte Falle, die der Abend aufbaut. Während man noch darüber nachdenkt, ob Behinderte nicht auch dann ein Recht auf die Bühne haben, wenn sie nicht selbst nach ihr streben, beginnt man sich langsam über Witz und Schaulust der Thikwa-Darsteller zu wundern. Spätestens aber, wenn sich die Monster Truck-Leute zurückziehen und die "Mongos" plötzlich alleine die Last der Aufführung tragen, werden alle Zuschreibungen, die man möglicherweise zuvor vorgenommen hatte, pulverisiert.

So wie diese Drei aufs Heftigste die Zuschauer anflirten, sich in ironische Posen werfen und lustvoll Styroporköpfe mit einem Riesenkatapult ins Publikum ballern, kann keine Rede davon sein, dass hier irgendjemand nicht selbstbestimmt handle. Einige der Szenen ziehen sich vielleicht etwas lang hin, am Ende ist man aber doch froh über jedes Vorurteil, dass sich hier in Luft auflöst. Und einem Gegenüber die Entscheidungsautonomie abzusprechen, kann ein sehr gefährliches Vorurteil sein.


Dschingis Khan. Eine musikalische Völkerschau
von Monster Truck und Theater Thikwa
Uraufführungs-Inszenierung
Von und mit: Sabrina Braemer, Jonny Chambilla, Manuel Gerst, Sahar Rahimi, Oliver Rincke, Mark Schröppel, Ina Vera.
Dramaturgie: Marcel Bugiel, Musik: Mark Schröppel.
Produktionsleitung: ehrliche arbeit – freies Kulturbüro. Produktionsassistenz: Alisa Hecke. Künstlerische Mitarbeit: Matthias Meppelink. Produktion: Monster Truck.
Koproduktion: FFT Düsseldorf, Sophiensaele Berlin, Pumpenhaus Münster und Ringlokschuppen Mülheim.
Dauer: 1 Stunde 30 Minuten, keine Pause

 

 

Kommentare   

+2 #1 Monster Hit 2013-05-02 12:52
Eines der intensivsten und intelligentesten Theaterstücke in dieser Saison. Um Lichtjahre weiter als das, was Jérôme Bel in "Disablead Theater" veranstaltet.

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