Weg mit dem Blut, wir können nichts sehen!

von Simone Kaempf

Heidelberg, 29. April 2013. Was für eine Parodienfülle! Satire auf Krimi- und Krankenhausserien, auf amerikanische Live-Nachrichten, in denen gutaussehende TV-Sprecherinnen mit Experten Interviews führen, auf Dokudramas und Agententhriller. Durchschnitts-Amerikaner wie der rasenmähende Sonny Buchanan treten auf, der kurz aus seinem Leben erzählt, bevor er mit dumpfem Knall zu Boden sackt. Augenzeugen der Serienkillermorde melden sich, die bereits ein Buch geschrieben haben, das flugs als Running Gag in die Kamera gehalten wird. Denn ja, die nationale Suche nach einem Heckenschützen lässt die Räder der Vermarktungsmaschinerie heiß laufen. Was in der Realität im Jahr 2002 schon ein dauerpräsentes Ereignis war, wird in diesem Theaterabend nochmal auf die Spitze getrieben.

Der italienische Autor Gian Maria Cervo, der Argentinier Rafael Spregelburd, Albert Ostermaier und Marius von Mayenburg, der zudem Regie führte, haben als internationales Autorenteam ein Stück über die Beltway Sniper Attacks geschrieben. Zwei Heckenschützen brachten vor elf Jahren vor Tankstellen und Supermärkten wahllos Menschen um, und die Suche verursachte im Zuge von 9/11 einen Medienhype sondergleichen. Auf den zielt die Inszenierung von Marius von Mayenburg.

Große Spielwiese

Konsequenterweise beginnt sie in einem Tonstudio, das sich bald in eine Gefängniszelle, einen OP-Saal oder ein Fernsehstudio verwandelt. Und so wie die weiße breite Spielfläche von Bühnenbildnerin Nina Wetzel sich je nach Videoeinspielung verändert, spielen die Schauspieler Katrin Röver, Genija Rykova, Thomas Gräßle und Lukas Turtur an die fünfzig Rollen des Stücks. Nicht jede ist notwendig, es sei denn, man nimmt den Text als große Spielwiese, auf der ordentlich getobt werden darf – durchaus ein Symptom bei Mehr-Autoren-Projekten wie diesem.Call me god 700 Hans Joerg MichelWer hat hier noch den Durchblick? © Hans-Jörg Michel

In der Regie von Marius von Mayenburg sieht diese Mediensatire allerdings schon ziemlich gut aus, ein Mix aus Schauspielszenen, Musik und Videoüberblendungen, die suggerieren, das die Kameras immer schon überall sind. Die Medienkritik äußert sich dann allerdings eher im Witz einzelner Szenen: wenn bei einer Opfer-Notoperation das Blut so spritzt, dass die Scheibe mit dem Wischer abgezogen werden muss, der Blick für die Zuschauer soll schließlich immer frei bleiben.

Oder die herrlich tumben FBI-Agenten, die nicht begreifen, dass der Sniper durch die Medien immer auf dem aktuellen Stand der Ermittlung ist. Man muss sich in die teils schrille Inszenierung einsehen, und sie nimmt ziemlich Fahrt auf im Laufe des Abends. Aber schaut man mit ihr in die amerikanische Seele? In eine Medien-Realität, die überall dabei sein will? Weniger, am ehesten noch in vier Autorenseelen, die sich beim gemeinsamen Schreiben gegenseitig in ihrem Spaß und Aberwitz übertreffen wollten.

 

Call me God
von Gian Maria Cervo, Marius von Mayenburg, Albert Ostermaier und Rafael Spregelburd
Uraufführungs-Inszenierung
Gastspiel Residenztheater München
Regie: Marius von Mayenburg, Bühne und Kostüme: Nina Wetzel, Musik: Malte Beckenbach, Licht: Uwe Grünewald, Video: Sébastien Dupouey, Dramaturgie: Laura Olivi.
Mit: Katrin Röver, Genija Rykova, Thomas Gräßle, Lukas Turtur.
Dauer: 2 Stunden 15 Minuten, keine Pause

www.residenztheater.de

 

Zur Nachtkritik der Uraufführung

Kommentare   

#1 mein HighlightMelchior 2013-05-04 09:45
Mir haben Text und Inszenierung viel Spaß gemacht. Mayenburg hat einen tollen job gemacht!
Ein Theaterabend muss ja nicht immmer ambitioniert sein und das unmögliche wollen, der hier war immerhin extrem unterhaltsam, intelligent und dabei nicht ohne Gegenstand, nie dämlich, kein Klamauk. Im Gegenteil gewitzt und mit einem guten Gespür für Pointen.

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