Abstiegsangst des Mittelstands

von Georg Kasch

Heidelberg, 4. Mai 2013. Die Tür geht auf, die Tür geht zu. Menschen strömen hindurch, eine pittoresk-absurde Gesellschaft im Kleinen. Plötzlich bleibt sie geschlossen – ausgerechnet in dem Moment, als Anneliz durch will, eine Frau um die 50. In ihrer Begegnung mit der unerbittlichen Tür Meyer durchläuft sie die klassischen Verlustphasen Nichtwahrhabenwollen, Selbstzweifel, Wut und Akzeptanz: Erst redet sie davon, dass das nur ein Versehen sein kann, sucht dann Schuldige, um schließlich an sich selbst zu zweifeln. Am Ende ist die Tür vergessen: Da steht sich Anneliz nur noch selbst im Weg. TueraufTuerzu1 250 Sascha KreklauZwischen Türen: Hildegard Schroedter als Anneliz © Sascha Kreklau

Es ist ist typische Mittelstandsabstiegsangst, die beim Stückemarkt schon am Vortag in Die Mitte der Gesellschaft auf den Plan trat und nun auch "Tür auf Tür zu – So gesehn ist drinnen draußen" durchpulst: Die Furcht davor, verdrängt zu werden, nicht mehr dazuzugehören, erst recht im fortgeschrittenen Alter. Ingrid Lausunds jüngste Tragikomödie folgt dem bewährten Rezept, ihre aberwitzig beginnenden Stücke lustvoll auf dem schmalen Grat zum Boulevard balancieren und dann so unerwartet wie wirkungsvoll in die Abgründigkeit rutschen zu lassen.

Lebende Inkonsequenz

Auch diesmal inszenierte Lausund die Uraufführung selbst, in Duisburg: Kreidestriche markieren das achteckige Spielfeld auf der sonst leeren Bühne, an dessen Winkeln die wenigen, im Prinzip unwichtigen Requisiten liegen. Drinnen stehen Robert Glatzeders Allesspieler (und Chor) Gustav, der auch hin und wieder singend zur Gitarre greift, Matthias Matz’ erschreckend neutrale Tür Meyer und Hildegard Schroedters Anneliz, ein Wunderwerk aus Inkonsequenz und Selbstmitleid. Besonders schön die fiesen Momente, in denen Gustav eine Reaktion Anneliz’ ankündigt, sie (bzw. ihre Schauspielerin, dieses Verhältnis bringt Lausund ordentlich zum Flirren) das als vollkommen abwegig ablehnt – und sich wenig später in der angekündigten Gemütslage wiederfindet. Witzig ist das und ziemlich bitter, wenn sich das vermeintliche Opfer als Wutbürger mit Demütigungspotential und Rachefantasien entpuppt. Dass man da längst die ein oder andere Selbstverteidigungsfloskel der draußen vor der Tür Stehenden im eigenen Repertoire entdeckt hat, macht den Abend auf angenehme Weise unheimlich.

Tür auf Tür zu – So gesehn ist drinnen draußen
von Ingrid Lausund
Uraufführungs-Inszenierung, Gastspiel Theater Duisburg
Regie: Ingrid Lausund, Bühne und Kostüme: Beatrix von Pilgrim. Mit: Robert Glatzeder, Matthias Matz, Hildegard Schroedter.
Dauer: 1 Stunde 30 Minuten, keine Pause

www.duisburg.de
www.lausundproductions.com

 

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