Überlebens-Euphorie für alle

von Wolfgang Behrens

Heidelberg, 3. Mai 2013. Bei der Geschwindigkeit, die die nur 50 Minuten dauernde Uraufführungs-Inszenierung von Laura Naumanns "Demut vor deinen Taten Baby" vorlegt, wäre eigentlich kein Rückenwind vonnöten gewesen. Mit ebensolchem jedoch ist die Bielefelder Produktion in Heidelberg eingetroffen, denn gerade vor wenigen Tagen gastierte sie in München beim Radikal Jung-Festival und räumte dort den Publikumspreis ab. Oder genauer gesagt die Regisseurin Babett Grube, die jetzt um – na ja, immerhin – 2.500 Euro reicher ist.

Interessant dabei ist, dass der Münchner Preis für die Regie vergeben wird. Denn die verlässt sich im Falle von "Demut vor Deinen Taten Baby" nahezu 100-prozentig auf den Text – alles andere als eine selbstverständliche und schon gar keine bequeme Entscheidung. Denn wenn die Bühne vollkommen leer bleibt und als Requisiten gerade einmal ein wenig Klebeband und halbierte Plastikflaschen als Gasmasken-Attrappen zum Einsatz kommen, dann bleibt nicht viel mehr als Sprache und Körper – und die sollten dann schon präzise inszeniert werden.

Anschläge simulieren

Das genau aber gelingt Babett Grube und ihren bewundernswürdig punktgenau agierenden Performerinnen Ann Kathrin Doerig, Isabell Giebeler und Christina Huckle. Druckvoll, mit wunderbar austarierten, die Textpointen förmlich herauskitzelnden Tempo- und Tonlagenwechseln erzählen diese Drei die irrwitzige Geschichte von Lore, Mia und Bettie, die ein vermeintlicher Flughafen-Anschlag, den sie gemeinsam, ohne sich vorher gekannt zu haben, in drei nebeneinander liegenden Toilettenkabinen durchleiden, aneinanderschweißt. Demut3 250 Philipp Ottendoerfer © Philipp Ottendörfer

In der Euphorie des Überlebens erkennen Lore, Mia und Bettie einen neuen Sinn, und um dieses Glücksgefühl teilen zu können, entwickeln sie die Idee, simulierte Anschläge auf die Gesellschaft zu verüben, auf dass diese näher aneinanderrücke und sich gleichermaßen über das Überleben freue. Verrückterweise geht der Plan so gut auf, dass Lore, Mia und Bettie fortan im Auftrag der Regierung Angst und Schrecken samt anschließender Katharsis-Garantie verbreiten. Bis die Gesellschaft derart angstfrei und glücklich wird, dass sie auch dem Konsum entsagt – was dann der Regierung auch wieder nicht recht ist …

Schäumendes Nebeneinander

In Laura Naumanns poppig komponierter Farce schießen viele Themen zusammen: Terrorangst, Sinnsuche, Ikonenbildung, Kommerzialisierung des Subversiven, systemische Gleichgewichtsfragen etc. Im Wirbel des wunderbar abstrus konstruierten Plots schäumen diese Themen und ergeben ein äußerst appetitliches Soufflé. Und wenn die drei Darstellerinnen dem Publikum (vor allem der ersten Reihe) ganz dicht auf die Pelle rücken und ihm mitunter buchstäblich auf den Schoß springen, dann lässt man sich von Energie und Power dieses Wirbels auch gerne mitreißen. Ist das Ganze vorbei, fällt das Soufflé aber auch bald wieder in sich zusammen. Denn die Text-Köchin Laura Naumann hat zwar vieles, eigentlich sogar fast alles richtig gemacht – das ist Schreiben auf der Höhe der Zeit. Doch vor lauter state of the art hat sie eine Zutat vergessen: den Widerhaken. "Demut vor deinen Taten Baby" ist so gut geölt, das rutscht einfach etwas zu leicht runter.

 

Demut vor deinen Taten Baby
von Laura Naumann Uraufführungs-Inszenierung Gastspiel Theater Bielefeld
Regie: Babett Grube, Bühne und Kostüme: Doris Margarete Schmidt, Dramaturgie: Franziska Betz, Viktoria Göke.
Mit: Ann Kathrin Doerig, Isabell Giebeler, Christina Huckle.
Dauer: 50 Minuten, keine Pause
www.theater-bielefeld.de 

 

Zur nachtkritik der Premiere in Bielefeld im September 2012

 

 

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