Generation Playmobil

von Georg Kasch

Heidelberg, 26. April 2013. Das Puppenheim ist noch nicht fertig, aber die entsprechenden Köpfe sind schon da: Als Pappkameraden im Playmobil-Look paradieren sie über die Bühne, auf der sich eine Mauer aus Zementsäcken schichtet; im Hintergrund leuchten die Laubsägearbeit-Tannen. Von der Natur, in die man hinauswill, ist allenthalben die Rede, aber am natürlichsten wirkt hier noch der Specht, der anfangs als Videoprojektion an seinem Baum herumpickt.

Alpenvorland3 250 Florian Merdes uIm Playmobil-Vorland © Florian Merdes Denn natürlich geht es in Thomas Arzts "Alpenvorland" um die Zivilisation und ihre Krankheiten. Und natürlich ist der Hausbau im Grünen ein Zeichen dafür, es geschafft zu haben: Hannes und Heidi legen den Grundstein, vier alte Schulfreunde kommen zum Grillen auf der Baustelle. Dazwischen funkt Heidis kleine Schwester Sopherl und sucht vorsorglich die Leichen im Keller. Schnell wird klar, dass dieses Haus und diese Leben auf Sand (oder auch: Schlier) gebaut sind. Schließlich durchleidet die Generation Playmobil mit Anfang 30 ihre erste große Krise: Ist der Weg, den ich eingeschlagen habe und der sich von nun an stetig verengt, wirklich der richtige?

Wie man etwas sagt, wenn man nichts zu sagen hat

Mit dem Plastikspielzeug hat Arzts Stück, das im vergangenen Jahr den Autorenpreis des Heidelberger Stückemarkts gewann und vor wenigen Tagen in Linz uraufgeführt wurde, eigentlich nichts zu tun. Seine Figuren sind lokal verankert, faseln im Kunstdialekt, was man halt so sagt, wenn man sich nichts zu sagen hat und quälen sich mit einer Interpunktion, die die Sätze in die Mehrdeutigkeit stolpern lassen.

Jens Poth hat sich vielleicht von den – bei aller äußeren Aktion an drei Tagen im Frühjahr, Sommer, Herbst – auf der Stelle tretenden Figuren zu den kindlichen Pappkameraden verleiten lassen, die Simone Wildt in entsprechend buntglatte Kostüme steckt. Auch ohne Playmobil-Köpfe treiben sie sich gegenseitig in die Sitcom, stolzieren durch Neo-Western-Arrangements (gockelnde Schritte, tötende Blicke) und rufen, wenn für einen von ihnen ein Schmerzpunkt erreicht ist, "Clash".

Knackt die Plastikpanzer!

Das funktioniert in sich erstaunlich gut, vernachlässigt aber Arzts Volksstückanleihen. Ebenso die Musik: Statt mit volkstümlichem Liedgesang (mit dem das Wiener Heidelberg-Gastspiel von Arzts "Grillenparz" im vergangenen Jahr beeindruckte) brechen die Schauspieler die ausgestellte Künstlichkeit mit innigem Indie-Pop. Auch sonst gehört es zu den stärksten Momenten des Abends, wenn die Emotionen die Plastikpanzer durchbrechen. Auch schön: wenn sich eine Tortenschlacht in eine ragtimetänzelnde Stummfilmchoreografie verwandelt.

Am Ende sind die Lebenslügen klar umrissen, gibt es neue Konstellationen und eine Tote. Aber die Pappköpfe faseln noch immer daher, als hätten sie nichts gelernt.

 

Alpenvorland
von Thomas Arzt
Deutsche Erstaufführung
Regie: Jens Poth, Bühne und Kostüme: Simone Wildt, Dramaturgie: Patricia Nickel-Dönicke, Musik: Wendelin Hejny.
Mit: Benedikt Crisand, Karolina Horster, Michael Kamp, Dominik Lindhorst, Natalie Mukherjee, Evamaria Salcher, Friedrich Witte.
Dauer: 2 Stunden, keine Pause

www.theaterheidelberg.de

 

Zum Stückporträt von Alpenvorland aus dem Vorjahr

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