Fiese Börsengeschäfte
von Georg Kasch
Heidelberg, 5. Mai 2013. Hinten flimmern in grob gepixelten Schwarzweißbildern Straßenkampfszenen über die Wand. Vorne brodelt Testosteron im Boxring: Shylock gegen Antonio, zwei Außenseiter und Blutsfeinde, auf Augenhöhe ineinander verkeilt. Das war schon bei Shakespeare so und ist es noch bei Albert Ostermaier, der "Der Kaufmann von Venedig" für das Schauspielhaus Hamburg umgegossen hat in "Ein Pfund Fleisch". Hier werden zwar noch immer Klischees bedient, auch liebt Antonio noch Bassanio, der wiederum Portia freien will, was die Geldleih-Malaise mit Fleisch-Pfand ja erst in Gang bringt. Den Fokus allerdings verschiebt Ostermaier auf die Banker, die ihr System selbst nicht mehr verstehen und dennoch zocken, als ginge es um Spielgeld – wo sich die Welt um sie längst auflöst und Portia im Punk-Parka an ihren Stühlen sägt.
Handy am Ohr
Eine Schweinehälfte hängt von der Decke über der bis auf eine Absperrung hinten leeren weißen Spielfläche. Sie wirkt überzeugend echt, dient Dominique Horwitz' Shylock als Punchingball und deutet auch darauf hin, dass hinter den "Agrarforwards", für und gegen die da gewettet werden, reale Lebensmittel stehen.
Daneben ist Regisseur Dominique Schnizer nicht viel für die Bankerdämmerung eingefallen: Oft bleibt das Stück mit seinen unklaren Fronten und platten Aktualitätsbezügen ein kabarettistisch zugespitztes Kapitalismus-Nachhilfeprogramm an der Rampe mit Börsenheinis, die ständig das Handy am Ohr und die Hand im Schritt haben. Ostermaier, Heidelberger Autorenpreisgewinner von 2000, hätte auf den von ihm hochgeschätzten Bertolt Brecht hören sollen: „Man kann Shakespeare verändern – wenn man’s kann.“
Ein Pfund Fleisch
von Albert Ostermaier nach Motiven von William Shakespeares "Der Kaufmann von Venedig"
Uraufführungs-Inszenierung
Gastspiel Deutsches Schauspielhaus Hamburg
Regie: Dominique Schnizer, Bühne und Kostüme: Christin Treunert, Licht: Annette ter Meulen, Video: Marcel Didolff, Musik: Jimi Siebels, Dramaturgie: Steffen Sünkel. Mit: Stefan Haschke, Dominique Horwitz, Hanns Jörg Krumpholz, Michael Prelle, Jimi Siebels, Maria Magdalena Wardzinska.
Dauer: 1 Stunde 20 Minuten, keine Pause.
www.schauspielhaus.de
Zur nachtkritik der Premiere im September 2012